In diesen Tagen stecken unsere Verfassungsrichter in Karlsruhe ihre Köpfe zusammen um darüber zu beraten, ob ich denn mit meiner Frau im milden Frühlingsabend noch einen Spaziergang durch unsere Buxtehuder Dorfstraße machen darf oder nicht. Das ist nämlich ein Grundrecht, auch wenn es - oberflächlich betrachtet - gar nicht so aussieht. Wann und wohin ich -oder Sie - gehe ist meine, ist unsere Privatsache, da hat sich der Staat herauszuhalten. Das steht im Grundgesetz Artikel 11: „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“
Gegenwärtig ist dieser Genuss eingeschränkt durch das in dieser Woche in Kraft getretene Infektionsschutzgesetz. Der Staat darf das. Steht auch im Grundgesetz. Alle unsere Menschenrechte gelten nicht absolut, alle stehen unter dem Vorbehalt, dass ihre Ausübung nicht die schutzwürdigen Interessen Dritter gefährdet. Wer etwa glaubt, er dürfe sich mit seinem Auto in der Wohnstrasse frei entfalten und Privatrennen veranstalten, der kann sich nun mal nicht auf die Menschenrechte berufen. Eher kassiert die Polizei seine Fahrerlaubnis.
Aber wie ist das mit unserem Spaziergang? Wessen Interesse ist dadurch so gefährdet, dass der Staat ein strafbewehrtes Verbot erlassen darf? Grundrechte dürfen nur mit guten Gründen eingeschränkt werden. Das Infektionsschutzgesetz mag gut gemeint sein, es ist aber schlecht gemacht. Und vor allem, es verletzt ohne Not und mit nur schwacher Begründung unser aller Grundrechte.
Wenn ich mit meiner Frau oder alleine oder mit oder ohne Hund um acht Uhr abends spazieren gehe, stecke ich niemanden mit den Coronavirus an. Um zehn Uhr abends aber auch nicht und nicht um Mitternacht. Mal abgesehen davon, dass wir beide geimpft sind und uns daher nicht mehr anstecken können und auch niemanden anderen: Draußen in freier Natur hat ohnehin noch kaum jemand irgendeinen anderen infiziert - wenn er denn ausreichend Abstand eingehalten hat.
Die Regierung betet uns ständig vor, ihre Maßnahmen gegen die Pandemie seien wissenschaftsbasiert, sämtlich gestützt auf Experten, auf die man hören müsse.
Warum, diese Frage sei erlaubt, hört man dann nicht auf die deutschen - und internationalen - Forscher, deren Studien belegen, dass sich Covid 19 nicht im Freien sondern fast ausschließlich in geschlossenen Räumen verbreitet? Etwa so wie vor 14 Tagen in einer Buxtehuder Fleischfabrik. Praktisch die gesamte Belegschaft war positiv und die Arbeiter pusteten im den ganzen Landkreis Stade ihre Viren herum.
Ginge es mit rechten Dingen zu, müsste das Grundrecht des Buxtehuder Schweineschlachters, seinen Gewerbebetrieb aufrecht zu erhalten, gewiss rasch und nachhaltig eingeschränkt werden. Schließlich ist nicht erst seit den Katastrophen in den Schlachtereien von Tönnies auch dem Letzten klar: Solche Betriebe sind Virenschleudern par excellence.
Warum werden diese Betriebe nicht geschlossen? Na, weil wirtschaftliche Interessen dagegenstehen. Wird nicht mehr geschlachtet, wächst in den Mästereien der Schweineberg in ungeahnte Höhen.
Nun gibt es ja Leute, die in den lästigen Coronavorschriften gleich eine Merkel-Diktatur am Werke sehen und die wähnen, die Demokratie sei auf dem absteigenden Ast. Doch weder meine noch sonst jemandes Gedankenfreiheit ist irgendwie eingeschränkt. Nach wie vor kann jeder Querdenker in der Buxtehuder Altstadt demonstrieren, sich einen Alu- Hut aufsetzen, Angela Merkel für ein getarntes Echsenwesen halten und wähnen, die AFD sei eine demokratische Partei. Solche Freiheiten haben gewiss einen höheren Rang als mein nächtlicher Spaziergang.
Einen überaus hohen Rang hat bei uns ja auch der Datenschutz. Verfassungsrechtler reden vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Klar, sind wir alle dafür. Fand ich toll, den Zettel auf dem Tresen meines Arztes, der mich darüber aufklärte, wenn ich es wünsche, würde ich im Wartezimmer nicht mit meinem Namen zum Doktor gerufen sondern nur mit einer anonymen Nummer. Da kommt mir die Idee, ich könnte demnächst diese Kolumne nicht mehr mit meinem Namen zeichnen sondern mit einer Zahl. Wie wäre es mit 4711? Oder 0815?
Warum werden nach wie vor unsere Daten besser geschützt als unser Leben?
Wenn mir zum Beispiel die Corona-App auf meinem Handy die Mitteilung schickt, ich sei in engem Kontakt mit einem Infizierten gewesen und womöglich selbst erkrankt und somit eine Gefahr für meine Mitmenschen - dann geht diese Nachricht nicht etwa stracks zum Gesundheitsamt nach Stade, damit dort Maßnahmen ergriffen werden, um die Infektionskette zu unterbrechen. Dann werde ich vielmehr höflich gefragt, ob ich denn bereit sei, diese Information freiwillig weiterzuleiten.
Und wenn nicht - und ich höre von konkreten Menschen, die sich aus Furcht vor Quarantäne-Anordnungen so asozial entscheiden - bin ich zwar mitverantwortlich für Krankheit, Tod und wirtschaftliche Not - aber meine kostbaren Daten bleiben geschützt.
Das verstehe, wer will.
Auch an einem anderen Ende der Pandemie-Debatte geht die Regierung zurückhaltender mit den Eingriffen in die Grundrechten um. Da ist die allseits hochgehaltene Freiwilligkeit beim Impfen. Erst in diesem März hat das Verfassungsgericht einen Zwang zur Masern- Impfung für rechtens erklärt. Der gilt seit März für Kinder, die in Kitas gehen und die Schule besuchen, sowie für Erzieher, Lehrer, medizinisches Personal und Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften.
Warum gilt eine solche Pflicht nicht in der schlimmsten Pandemie der neueren Geschichte? Gewiss, solcher Zwang muss gut begründet sein. Aber sind 82 000 Todesopfer von Covit 19 nicht 82.000 gute Gründe genug?
In der Unabhängigkeitserklärung der USA findet sich diese schöne Idee, welche sich seither sinngemäß in allen demokratischen Verfassungen wiederfindet, auch in unserem Grundgesetz: Wir alle haben unveräußerliche Grundrechte, weil wir Menschen sind. Und Wir, die Menschen, geben Uns eine Regierung, damit sie diese Rechte schützt. Wir wählen Unser Parlament und Wir geben Uns eine Regierung und Wir gewähren in freien Wahlen dem so legitimierten Staat das Recht, diese Unsere Grundrechte einzuschränken. Und zwar nur leihweise und nur auf Zeit, und nur, wenn es denn dafür gute Gründe gibt.
Ich bin gespannt auf die Meinung der Verfassungsrichter.
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