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AutorenbildHeiko Tornow

Sie fühlen sich in der Corona-Pandemie von der Politik im Stich gelassen?

Da sind Sie nicht alleine, liebe Leserin, lieber Leser. Wohin man blickt, überall schleichen vereinsamte und verlorene Gestalten durch die Innenstädte von Stade und Buxtehude, alle ohne jede Zuwendung von Abgeordneten, Ministern, Bürgermeisterinnen. Ich habe mal diese Zeile gegoogelt: „Corona: Von der Politik im Stich gelassen“. Das Ergebnis: Ungefähr 223.000 Ergebnisse (0,40 Sekunden) .

Im Einzelnen und ohne Anspruch auf nur den Hauch einer Vollständigkeit aber mit ein paar Quellen: Jugendliche fühlen sich von der Politik im Stich gelassen ( Bertelsmann- Stiftung), Hamburger Einzelhändler fühlen sich von der Politik im Stich ....(Süddeutsche Zeitung) , Tätowierer fühlen sich von der Politik....(Welt). Das Handelsblatt schreibt, wenig überraschend: „Unternehmen fühlen sich von der...“.

Der Spiegel sieht die Pflegekräfte in vergleichbarer Lage, ein ähnliches Schicksal beklagen die Hausärzte, wenn man dem Nordkurier glaubt. Das ZDF stellt die Frage, ob die Klinikärzte nicht im Stich..., der Deutschlandfunk meint gleiches von Studenten, der Mannheimer Morgen sieht wortgleich grobe Defizite bei der Behindertenhilfe. "Wir werden im Stich gelassen": Dieser dramatischer Hilferuf einer Friseurin ging vor ein paar Tagen viral und bewegte im Netz tausende von Followern. Gut, die Dame empörte sich in Dortmund, aber den Friseurinnen in Harsefeld und Jork geht es auch nicht gut.

Es gibt mitlerweile keine Gruppe in unserem Land , die nicht die Phrase drischt, sie sei von den Politikern im Stich gelassen worden.


Der Brandbrief der heimischen kirchlichen Kitamitarbeiterinnen und das ähnlich politikkritische Schreiben ihrer Kolleginnen vom Stader DRK muss man so lesen, auch wenn diese Formulierung ausnahmsweise mal nicht genutzt wird: „Die da oben haben uns im Stich gelassen!“

Offensichtlich läuft da etwas schief in unserer Republik. Bei Umfragen ernten die für die Corona-Maßnahmen verantwortlichen Politiker wie Jens Spahn, Olaf Scholz oder Angela Merkel große Zustimmung. Die Menschen scheinen als Bürger ganz allgemein und unverbindlich einverstanden zu sein mit Lockdown, Maskenpflicht und Besuchsverboten bei der Oma im Altenheim. Aber als Angehörige von der einen oder anderen Gruppe geben sie zugleich den hemmungslosen Lobbyisten. Keine Pressesprecher irgendeines Verbandes verzichtet auf lautstarke Kritik an der einen oder anderen Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie. Kündigt etwa Minister Spahn eine neue Einschränkung an, ist das Aerosol seines Satzes noch nicht verdunstet, das hat er schon mindestens zehn lautstarke Protestierer am Hals. Und alle fordern, ihre partikularen Interessen müssten nun endlich berücksichtigt und dürften nicht vergessen werden. Zumeist geht es diesen Lobbyisten um Geld. Der Staat solle gefälligst einstehen für jeden pandemiebedingten Verlust eines jeden Gewerbetreibenden und ein Eigenanteil der Bürger an einer FFP2 Maske ist sowieso eine ungeheure Zumutung. Wem es nicht ums Geld geht, möchte gerne vorrangig beim Impfen behandelt werden oder beklagt mangelnde Anerkennung durch Staat und Gesellschaft, weil er „in diesen Zeiten“ seinen Job so selbstlos und großartig ausfüllt.

So berechtigt die Sorgen so vieler Menschen auch sein mögen, so groß der Druck und der Verdruss in den Familien, Schulen , Kitas, Altenheimen, Betrieben, Theatern, Museen und Gott weiß wo noch überall auch sein mag: Jeweils das eigene Interesse an die Spitze der Agenda zu setzen, wird nicht funktionieren.

Ganz gewiss machen „die da oben“ Fehler. Vieles läuft schief, langsam, unverständlich, halbherzig und widersprüchlich. Da sind die da oben nicht anders als wir hier unten. Spahn meinte in diesem Zusammenhang, nach Corona werde man sich gegenseitig viel zu verzeihen haben. Gegenseitig!

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