Was haben wir uns gefreut über unsere erste Impfung. Es war zwar nur das angeblich zweitklassige AstraZeneca und wir mussten von Buxtehude bis nach Dortmund fahren, weil nur dort zu dem Zeitpunkt Ehepaare im Rahmen einer Sonderaktion unbürokratisch gemeinsam geimpft worden sind - auch wenn der eine von beiden 75 Jahre und die andere noch nicht ganz so alt ist. Aber sei’s drum. Besser jetzt und schnell und Astra als nix.
Nun aber fragen wir uns, ob wir nicht vom Regen in die Traufe gekommen sind. Was ist, wenn wir in vier Wochen unseren zweiten AZ-Pieks erhalten werden - wohl wieder in Dortmund, weil es von unseren Impfbürokraten in Niedersachsen zu viel verlangt wäre, die Impfung aus NRW anzuerkennen - was dann? (Apropos anerkennen: wie soll das mit der europaweit einheitlichen Anerkennung klappen, wenn das schon zwischen zwei benachbarten Bundesländern hakt?)
Uns winkt zwar bald die neue Freiheit, ohne PCR-Test zum Friseur zu gehen, uns bedroht dann auch nicht mehr das bitterböse Virus. Es bedroht uns aber der grüne Neid unserer noch nicht geimpften Mitmenschen. Oder auch nicht?
Sie haben das gewiss mitbekommen, liebe Leser, liebe Leserin: die Neiddebatte ist über Deutschland hereingebrochen. Dabei haben – landauf, landab - so viele Politiker, Ethiker, Pädagogen, Virologen und sonstige Experten genau davor gewarnt.
Googeln Sie mal „Warnung vor Neiddebatte“. In 0,24 Sekunden werden 15500 solcher Warnungen zitiert. Weil es geboten erscheint, dass Geimpfte und Genesene nicht länger von ihren Grundrechten getrennt werden, wächst angeblich der Neid derer, die noch nicht an der Reihe waren oder zum Impfen nach Dortmund gefahren sind, ins Unermessliche.
Die Gefahr einer sich epidemisch verbreitender Missgunst scheint also gewaltig groß zu sein. Also besser nicht darüber debattieren?
Nun hat aber wohl jeder der 15500 Warner eben diese Debatte ordentlich befeuert. „Self-fulfilling prophecy“ nennen Soziologen dies Phänomen, eine Vorhersage also, die ihre Erfüllung erst selbst bewirkt. Ich will mich nun also - trotz aller Warnungen - an der Neiddebatte beteiligen. Ohne Streit - das hat schon mein Lieblingspolitiker Helmut Schmidt gesagt - gibt es keine Demokratie.
Zunächst muss man sich wohl darüber klar werden, worüber wir denn eigentlich reden. Es gibt eine Forsa-Umfrage, die besagt: 40 Prozent der noch nicht gegen Corona Geimpften neiden anderen ihre Corona -Impfung.
Das glaube ich nicht. Eine breit angelegte Umfrage in meinem Bekanntenkreis (Ich habe sogar den Elektriker interviewt und meine Friseurin) ergab ein ganz anderes Bild. Niemand bekannte sich dazu, impfneidisch zu sein. Nicht einer! Fake news also? Muss nicht sein. Vielleicht haben die von mir befragten gefürchtet, in meiner nächsten Kolumne als Neidhammel abgekanzelt zu werden - und wer will das schon im Tageblatt über sich lesen?
Neid ist nun mal kein schöner Charakterzug. Im Alten Testament neidete Kain seinem Bruder Abel dessen guten Draht zum Schöpfer. Das führte, wie wir alle wissen, zu nichts Gutem und seither gilt in allen Weltreligionen das mehr oder weniger wörtlich gemeinte Gebot: „Du sollst nicht neidisch sein.“ Wer nun wähnt, als Nchtgläubiger müsse er sich nicht an diese Maxime halten, der irrt. Friedrich Nietsche, der alte Atheist und angebliche Gotteslästerer sagte zum Neid, das sei „ein Fehler der sittlichen Natur. Er ist eine Krankheit, die die Seele gleichmäßig durchfrisst...“ Warum also sollten aber 40 Prozent der von Forsa Befragten sich freiwillig zu einer solchen Sünde, einem solchen „Fehler ihrer Natur“ bekennen?
Ich vermute vielmehr, dass sie ganz anders befragt worden sind. Etwa so: „Möchten Sie nicht auch möglichst bald geimpft werden?“ oder „Wollen Sie nicht auch Ihre Freiheiten wiederhaben - so wie die Geimpften?“ In den Antworten auf solche Fragen könnte man vielleicht Neid finden, gewiss aber viel Hoffnung und auch viel Sehnsucht.
Echter hässlicher Impfneid ist doch wohl eher eine Erfindung. Wenn ich neidisch wäre - was ich natürlich noch nie (!) war - würde ich meinem Nächsten etwas missgönnen und versuchen, es ihm wegzunehmen. Nähme ich jedoch im Pandemiefall einem Geimpften seine wiedergewonnene Freiheit - ich könnte sie ja gar nicht auf mich übertragen. Ich hätte nichts davon, wenn der Immunisierte wie ich selbst nicht ins Restaurant darf oder auch nicht nach Cuxhaven an den Strand. Vom Neid müssten man schon was haben, sonst würde man von ihm zerfressen. Und wer will das schon. Jedenfalls keiner den ich kenne und auch kein Tageblattleser.
Nun aber mal wirklich Schluss mit der Neiddebatte.
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