Die drückenden Einschränkungen unserer Freiheiten „in diesen Zeiten“ scheinen ja nun bald vorbei zu sein, jedenfalls sind sie doch einigermaßen gelockert. Sie waren sämtlich (und sind zum Beispiel beim Geistersport Bundesligafussball immer noch spürbar) dem „neuartig“ genannten Covid-19-Virus geschuldet. Als einzigartig übergriffig wurden die Kontaktverbote selbst zur Oma im Altenheim empfunden, die Reisehindernisse ins benachbarte Schleswig Holstein oder nach Mecklenburg haben mächtig genervt. Wir durften nicht einkaufen oder essen wo wir wollten. Wir durften nicht segeln, nich golf- oder tennisspielen wie es uns beliebte. Unserem Glauben konnten wir auch nicht im Gottesdienst Ausdruck verleihen. Jetzt freuen wir uns über unsere nach 12 Wochen zurückgewonnenen neuen Freiheiten.
Wenn ich es recht bedenke: So neuartig und einzigartig war das alles gar nicht. Schon einmal mussten Menschen in unserem Land auf einen Gutteil ihrer Rechte verzichten, zwölf lange, furchtbare Jahre. Am vergangenen Freitag hätten wir alle gemeinsam Grund gehabt ein großes Fest zu feiern, denn vor genau 75 Jahren gewannen die Deutschen nach faschistischer Diktatur ihre Freiheitsrechte zurück - wenn auch viele Menschen im Weltkrieg alles andere verloren hatten.
Das Freiheitsfest an diesem Wochenende blieb leider aus wegen des nach wie vor bestehenden Abstandsgebotes und der Vorschrift, wonach größere Menschenansammlungen zu vermeiden seien. Und ich will auch gern sofort einräumen, das alle Vergleiche mit den monströsen Zuständen und Ereignissen des Nationalsozialismus mindestens hinken. So gab und gibt es nie auch nur die geringste Rechtfertigung für Antisemitismus, Unterdrückung, Angriffskrieg, Entrechtung Andersdenkender, Führerwahn, KZ-Gräuel, Euthanasie, gesellschaftliche Gleichschaltung und was der Ungeheuerlichkeiten mehr waren.
Die zeitlich begrenzten, höchstrichterlich und parlamentarisch- demokratisch kontrollierten und genehmigten Corona-Vorschriften sind dagegen, mit Verlaub, ein Fliegenschiss der Geschichte. Der Erfahrungen der vergangenen Wochen sollten uns hoffentlich daran erinnern, wie wichtig, wie lebensnotwendig und wahrhaft systemrelevant unsere grundgesetzlich geschützten Freiheitsrechte sind. Wenn sie denn eingeschränkt - wohlgemerkt nicht „abgeschafft“ - werden, dann nur vorrübergehend und verhältnismäßig um ein nachvollziehbares Ziel für das allgemeine Wohl zu erreichen. Und als sie eingeschränkt waren - haben da nicht wenige erst gemerkt, dass es sie überhaupt gab?
Als wir weder auf den Deich bei Stadersand oder nach Spanien durften (Recht auf Freizügigkeit), die Kinder nicht in die Schule (Recht auf Bildung), die Friseurin nicht an ihren Arbeitsplatz ( Recht auf den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb), die Konfirmanden nicht zur Konfirmation (Recht auf Religionsfreiheit), der Bruder nicht zur Schwester in Quarantäne ( Allgemeines Persönlichkeitsrecht), der Zweitwohnungsbesitzer nicht in sein Feriendomiziel durfte (Eigentumsrecht) - als all das nicht mehr ohne weiteres möglich war, erst dann haben viele das scheinbar Selbstverständliche vermisst. Nur gut, dass die absoluten Grundrechte unserer Verfassung, wie zum Beispiel das Recht auf Meinungsfreiheit, unangetastet blieben. Die Tageblatt-Redakteure berichteten was war, die Kolumnisten schrieben was sie wollten und die Leser schimpften und lobten in ihren Zuschriften wie ihnen der Schnabel gewachsen war.
Ich weiß nicht, wie groß die Freude und Erleichterung bei uns im Landkreis Stade war, als der Krieg zu Ende ging. In der Buxtehuder Estetalkaserne stationierte Offiziere hatten kampflos vor den heranrückenden britische Truppen kapituliert und so ein mögliches Blutbad an der Este vermieden. Eine öffentliche Feier fand damals jedenfalls nicht statt. Ganz für sich privat aber hatte sich wohl Lina Meyer gefreut. Mit einem Dosenöffner holte sie die ein Dutzend Jahre in einer großen Blechdose eingeweckten und im Keller eingemauerten Traditionsfahne der Buxtehuder Sozialdemokraten wieder in die Freiheit.
Lina Meyer war eine beeindruckende Persönlichkeit. Als erste Frau überhaupt errang sie ein Mandat im Rat der Stadt Buxtehude. Die Geschichte mit der Fahne und ihre diebische Freude darüber, dass die Nazis bei einer Hausdurchsuchung das uralte handbestickte Tuch nicht finden konnten, hat sie mir in den siebziger Jahren selbst erzählt. Was sie wohl dazu gesagt hätte, dass heute im Stadtparlament Leute sitzen, deren Parteiführer darüber schwafeln, der 8. Mai sei „ein Tag des Verlustes“ gewesen und kein Anlass zum Feiern?
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