top of page
AutorenbildHeiko Tornow

Das Eine

Wo sind die Nachrichten ohne viralen Bezug? Wer schreibt noch irgendwas ohne den immerzu erwartbaren Zusammengang mit dem Erreger? Ist es möglich - in diesen Zeiten- einen Gedanken zu fassen ohne dieses vermaledeite Wort mitzudenken, diesen Zustand, diese Krise zu erwägen oder auch nur zu erwähnen?

Doch, es sei einen Versuch wert, antwortet Tageblatt-Chefredakteur Wolfgang Stephan auf meine Frage, ob ich es mal versuchen solle eine ganze Kolumne nicht über das eine, das alles bestimmende, alles überragende Thema zu schreiben. Kein Wort also über den dessen Name nicht genannt werden soll.


Warum also nicht. Versuch macht klug.


Nicht wahr, hängt es Ihnen nicht auch sooooo zu Halse heraus? Seit Wochen lesen wir, sehen wir, sagen wir, hören wir, flüstern wir nur das eine. Wir wachen damit auf, schlagen uns damit durch den Tag und den Abend, gehen damit zu Bett. Es dominiert das Frühstück, die Arbeit in der Firma und im Homeoffice, den Einkauf, das Kochen, jede Begegnung mit Freund und Feind. Wir atmen, denken, glauben und fühlen nur noch das eine.

Wir sind das EINE!


Oder doch nicht? Gibt es ein Leben ohne? Oder eine Nische, ein Refugium in dem wir sagen können: „Hier bin ich Mensch. Hier darf ich’s sein!“

Goethe ( was wäre eine tiefsinnige Betrachtung in diesen Zeiten ohne Goethe?), Goethe also beschreibt mit dieser letzten Zeile seines Osterspaziergangs „wie behend sich die Menge“ in Gottes Natur bewegt und:“Ich höre schon des Dorfs Getümmel, hier ist des Volkes wahrer Himmel“.

Getümmel? Menge? Das geht nun gar nicht. Mein kurzer Ausflug in Kunst und Kultur ist gleich gründlich daneben gegangen. Der Dichterfürst und seine Zeitgenossen hielten sich damals sich nicht ans Abstandsgebot und sie würden das als Freigeister heute auch nicht tun. Das ist politisch außerordentlich unkorrekt in „diesen Zeiten“ und gehört nicht in die Zeitung.


Nun denn. Zweiter Versuch. Verkehrspolitik, das ist doch mal ein Bereich, der frei ist von irgendwelchen Anzüglichkeiten, die ich versprochen habe zu vermeiden. Und außerdem habe ich schon lange nichts mehr über Verkehrspolitik geschrieben. Und über den Verkehrsminister Scheuer. Gerade dieser Tage hat er uns seinen neuen Bußgeldkatalog beschert. Alles wird teurer: Falschparken, Rasen, der Missbrauch von Rettungsgassen, auch das „unzulässige Halten auf Schutzstreifen für den Radverkehr“. Als kritischer Journalist könnte man hier einhaken und ein wenig Mäkeln: 55 Euro Bußgeld für so eine Lapalie! Und überhaupt, was ist ein „Schutzstreifen für Radverkehr“ überhaupt? So etwas hat es nicht gegeben, als ich den Führerschein gemacht habe.


Und dann noch dies: Wie groß der Abstand beim Überholen eines Radfahrers sein muss, war in den vergangenen Jahren Auslegungssache. "Ausreichend" sollte er sein, so hieß es in der StVO. Seit dem 28. April müssen es innerorts mindestens 1,5 Meter, außerorts zwei Meter sein. Da ist es wieder, das leidige Abstandsgebot. Es wird übrigens interessant sein zu beobachten, mit welchem Zollstock oder mit welcher Abstands-APP solche verbotswidrigen Annäherungen zwischen Auto und Zweirad gerichtsfest nachgewiesen werden.

Mal was ganz unverfängliches: Wie wärs mit Rasenmähen? Das ist gewiss frei von irgendwelchen Zweideutigkeiten; völlig harmlos, wie eigentlich alle Gartenarbeit jetzt im Frühling; auch gesellschaftlich relevant weil ökologisch und zudem eine Erholung für Körper und Geist.

Mein Freund ist mit der Zeit gegangen und hat sich einen Mähroboter angeschafft. Der erledigt die Arbeit leise surrend und ohne dass er Muskeln und Kopf allzusehr anstrengen muss. Nachts schaltet er sich ab. Igel, Karnickel und sonstiges Kleingetier kämen sonst unter die Messer.

Ruhigen Gewissens verlässt er Haus und Garten für drei Tage. Wieder zurück muss er feststellen: Der Rasen ist ordentlich gewachsen, es hatte ja endlich geregnet. Der Nachbar spricht ihn über den Zaun an: „Haben Sie gemerkt? Ihr Mährobotor hat sich festgefahren.“ Tatsächlich, das grüne Ding ist genau auf der Grundstücksgrenze mit seinen vorderen Rädern über einen Ast gerollt und die hinteren haben das Hindernis nicht mehr geschafft. „Stundenlang hat er es versucht. Immer hin und her.“, sagt der Nachbar. „Die Räder haben sich immer tiefer in die Erde gegraben.“ Warum er denn den Ast nicht beiseite genommen habe, fragt der Freund seinen Nachbarn oder warum er dem Gerät mit dem Fuß keinen Schubs gegeben habe?

„In diesen Zeiten“, sagt der Nachbar, „muss man auf Abstand halten.“


Es geht einfach nicht!!! Ich schreibe demnächst wieder über das Eine

10 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Ostern und Impfpolitik

Wäre, wäre Fahrradkette. Man stelle sich vor, die Restaurants auf den Deichen im Alten Land wären an Ostern über fünf Tage wirklich ...

Triage in Buxtehude?

Dieser Tage gerate ich in die Notaufnahme des Buxtehuder Krankenhauses. Nach gebührender Wartezeit werde ich in einen Raum gebeten, in...

Pandemien und Schuluntericht zu meiner Zeit

Die Tageblatt-Redaktion hatte ja an an meine Kolumne die Erwartung geknüpft, dass sie die Corona-Pandemie aus der Sicht eines Angehörigen...

Commenti


bottom of page